13.03.2014 -

Eva Luise Köhler Forschungspreis für Seltene Erkrankungen 2014

Mit Hilfe einer Gehirn-Computer-Verbindung lernen vollständig gelähmte Menschen wieder zu kommunizieren. Das neurowissenschaftliche Projekt der Universität Tübingen erhält den mit 50.000 Euro dotierten Preis.

Eva Luise Köhler überreichte heute in Anwesenheit ihres Mannes Bundespräsident a.D. Prof. Dr. Horst Köhler und des Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe den nach ihr benannten Preis an Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Niels Birbaumer vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen für sein Projekt „Kombiniertes Gehirn-Maschine-Interface zur Hirnkommunikation bei Amyotropher Lateralsklerose“. Der Wissenschaftler arbeitet an einem neuen Computersystem, das vollständig gelähmten Menschen eine zuverlässige, gedankliche Kommunikation mit ihrer Außenwelt ermöglichen soll. Neuartig an dem Projekt gegenüber bereits bestehenden Brain-Computer-Interfaces ist, dass sowohl elektrische Gehirnströme, als auch die metabolische Hirnaktivität, sprich die Blutströme gemessen werden. Beide Werte werden in einem Computersystem systematisiert und sollen eine nahezu eindeutige „Hirnantwort“ des Patienten ermöglichen. Das System wird zunächst an Patienten mit der seltenen Muskelerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose erprobt, die zum Teil mehrere Jahre den kompletten Locked-In-Zustand (CLIS) erleiden: intakte kognitive Leistung, aber vollständige Lähmung und keinerlei Kommunikation mit der Außenwelt möglich.

„Natürlich ist unser Ziel, dass das System zukünftig allen Patienten zugute kommt, denen es aufgrund von Muskelerkrankungen, Gehirnschädigungen oder Gehirn-Infarkten nicht mehr möglich ist, sich zu verständigen. Der Preis ist eine wichtige Bestätigung der Güte unserer Arbeit. Noch wichtiger ist aber, dass er die öffentliche Aufmerksamkeit auf Erkrankungen bzw. Erkrankungszustände richtet, die in der Medizin und der Rehabilitation und auch oft von Patienten und ihren Angehörigen als hoffnungslos betrachtet werden. Das Computersystem heilt nicht, aber es schafft wichtige Lebensqualität, denn ohne Kommunikation ist kein Leben möglich“, so der Preisträger Professor Niels Birbaumer in seiner Dankesrede.

Der Eva Luise Köhler Forschungspreis wird bereits zum 7. Mal verliehen. Er ist eine Initiative der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung in Kooperation mit der ACHSE (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen e.V.)
„Mit dem Eva Luise Köhler Forschungspreis und dem Preisgeld von 50.000 Euro soll außergewöhnliche und erfolgversprechende Forschung gezielt vorangetrieben werden. Das Leiden von Betroffenen soll gelindert und ihr Alltag nachhaltig verbessert werden. Professor Birbaumer zeigt das in seinem Projekt in herausragender Weise“, so Eva Luise Köhler in ihrer Laudatio zur Preisverleihung in der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom. In Deutschland leben rund 4 Millionen Menschen mit Seltenen Erkrankungen. Es herrscht ein enormer Forschungsbedarf: Bisher können nur wenige 100 der 6.000-8.000 Erkrankungen, die zu den Seltenen zählen, behandelt werden. „Die ACHSE hat als Patientenorganisation das Ohr an den Betroffenen mit Seltenen Erkrankungen in Deutschland. Deshalb wissen wir, wie wichtig es für die „Waisen der Medizin“ ist, dass mehr Aufmerksamkeit auf ihre Anliegen gerichtet und mehr geforscht wird“, so Christoph Nachtigäller, Vorsitzender der ACHSE.

Bundesminister Hermann Gröhe unterstrich in seinen Grußworten bei der Preisverleihung: "Die Forschung im Bereich Seltener Erkrankungen verdient höchsten Respekt. Jeder Mensch, der an einer Seltenen Erkrankung leidet, hat eine Chance auf eine geeignete Therapie oder eine bessere Unterstützung im täglichen Leben verdient. Mit der jährlichen Preisverleihung zur Erforschung Seltener Erkrankungen gibt die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung einen wichtigen Impuls und vielen Menschen Hoffnung. Die Preisverleihung ist ein Ansporn und eine hohe Ehrung. Sie schafft Öffentlichkeit, die gerade für das breite Feld der Seltenen Erkrankungen von unschätzbarem Wert ist."

Das Preisträgerprojekt
„Kombiniertes Gehirn-Maschine-Interface zur Hirnkommunikation bei Amyotropher Lateralsklerose“ konnte die Jury überzeugen. Mit seiner Studie stellt Professor Niels Birbaumer gemeinsam mit seinem Team von der Universität Tübingen Betroffenen und Angehörigen eine elementare Verbesserung im täglichen Leben mit einer Seltenen Erkrankung in Aussicht. Die alltägliche Kommunikation, der Austausch mit unseren Mitmenschen ist für uns eine Selbstverständlichkeit – nicht so für Menschen mit Amyotropher Lateralsklerose. Betroffene können im Endstadium dieser seltenen Muskelerkrankung nicht einmal mehr mit den Augen kommunizieren, weil ihr Körper durch Nervenschädigung fast vollständig gelähmt ist. Über die Messung  von Hirnaktivitäten wird zuverlässig ermittelt, ob ein Patient eine Frage gedanklich mit ja oder mit nein beantwortet.
Die bereits bestehenden BCI-Systeme erlauben noch keine zuverlässige Kommunikation. Die Forscher der Universität Tübingen konnten in einem Vorversuch bereits 100% korrekte Hirnantworten klassifizieren. Es handelt sich also um ein vielversprechendes Projekt, das die betroffenen Menschen einen Schritt weit aus ihrer Isolation befreien könnte.

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine seltene Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems. Durch Schädigung von Nervenzellen kommt es im Verlauf der Erkrankung zu  Lähmungen und Muskelschwund. Betroffene laufen sogar Gefahr, mit dem Fortschreiten der Erkrankung, den kompletten Locked-in-Zustand (CLIS) zu erleiden, d. h. sie haben trotz intakter geistiger Leistungsfähigkeit nicht mehr die Möglichkeit mit ihrer Außenwelt zu kommunizieren. In diesem Zustand ist es ihnen nicht einmal mehr möglich mit den Augen zu blinzeln, um anderen etwas mitzuteilen.
Von 100.000 Menschen sind zwischen 3 bis 8 Personen von ALS betroffen, vorwiegend erkranken Männer zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr. ALS ist nicht heilbar. Auch die Ursachen sind noch weitgehend ungeklärt. Der Krankheitsverlauf ist unterschiedlich. Je nachdem welche motorischen Nervenzellen zuerst betroffen sind, treten zunächst Lähmungen in den Armen und Beinen auf oder etwas seltener Sprach- und oder Schluckstörungen. In der Regel schreitet die Krankheit über mehrere Jahre langsam fort, sie dehnt sich dabei auf immer weitere Körperregionen aus.
Zu den prominentesten Betroffenen von ALS zählen der Künstler Jörg Immendorf und der der Physiker Stephen Hawking. Immendorf, einer der bekanntesten deutschen Künstler der Gegenwart, verstarb 2007 im Alter von 61 Jahren infolge der Erkrankung.