Durstigster Mann Deutschlands

Mein Name ist Marc - zwischenzeitlich war ich auch bekannt als der „durstigste Mann Deutschlands", ein Titel, den ich mir natürlich gerne mit den anderen Menschen teile, die von Diabetes insipidus renalis betroffen sind. Beruflich bin ich in der Stadtentwicklung tätig und ehrenamtlich als Ortsheimatpfleger aktiv. Meine Leidenschaft sind Minderheitensprachen, wie zum Beispiel Friesisch und Plattdeutsch. Vor einigen Jahren habe ich herausgefunden, dass ich Pferde mag - mittelweile habe ich eine Reitbeteiligung und verbringe viel Zeit damit, reiten zu lernen. Ansonsten lese ich gerne, spiele Schach, höre Musik, treffe Freunde - was man so macht.

Logistischer Aufwand, Durst und Erschöpfung

Ich habe die Seltene Erkrankung Diabetes insipidus renalis, ein Gendefekt, mit dem ich seit meiner Geburt

lebe. Im Alltag ist die Erkrankung mit viel logistischem Aufwand, Durst und Erschöpfung verbunden. Außerdem ist es anstrengend, dass so wenig Menschen die Erkrankung kennen und ich immer wieder sehr viel erklären muss. Meistens versuche ich es dann kurz zu halten - Betroffene haben immer Durst und trinken bis zu 20 Liter Wasser am Tag. Klingt skurril, ist aber so.

Ärzte kannten Erkrankung aus Studienzeiten

Aus medizinischer Sicht bin ich gut versorgt – die beste Medizin ist in meinem Fall Wasser. Als Kind hatte ich das große Glück, dass wir in Bielefeld gute Ärzte hatten, die das Krankheitsbild aus dem Studium kannten. Die Diagnose und die Symptome sind klar und diagnostiziert, aber was es für das Leben, in der Schule und im Beruf bedeutet, da ist jeder erst einmal auf sich allein gestellt. Gerade in der Schule sind Müdigkeit und die Erreichbarkeit von Wasser ein Problem. Ich musste mich jedes Mal melden und fragen, wenn ich zum Klo wollte – in dem Alter vor allen Mitschülern war das nicht angenehm. Wenn Lehrer das zusätzlich mit Sprüchen förderten, wie: „Ach du mit deiner Sextanablase, die Pause war doch grad, nee, jetzt nicht", gefolgt von Gelächter, dann wäre ich am liebsten im Erdboden versunken. Gerade als Jugendlicher kam ich häufig zu spät in den Unterricht. Statt Verständnis habe ich auch hier nach zwei Mal Fehlen gleich Ärger bekommen. Aus pädagogischer und psychologischer Sicht könnte die Unterstützung daher auf jeden Fall noch ausgebaut werden. Aber es ist schon viel passiert – in früheren Generationen sprach man noch gar nicht über genetische Defekte.

Mach das Beste draus

Es ist wichtig, einen eigenen Weg und Umgang mit seiner Erkrankung zu finden. Es ist so, wie es ist – mach das Beste draus. Für mich ist es in meinem Fall auch keine Krankheit, da eine Krankheit temporär ist. Es ist eine Behinderung im rechtlichen Sinne, mit der ich gut klarkomme. Problematisch ist oft, dass man mir den Diabetes insipidus renalis nicht auf den ersten Blick ansieht. Erfährt mein Gegenüber dann doch von der Behinderung, werde ich oft falsch eingeschätzt, bekomme blöde Sprüche und unnötige Belehrungen zu hören. Gerade bei Behörden musste ich oft widerliche Situationen erleben. "Schlaf doch in der Badewanne, dann kannst du trinken und es einfach laufen lassen", sagte einmal eine Frau vom Versorgungsamt zu mir. Freunde und Bekannte sind da pragmatischer – jeder hat halt was.

Wer inspiriert und stärkt mich?

Es gibt viele Menschen in meinem Umfeld, die mich immer wieder stärken und für mich da sind. Inspiration schlechthin ist für mich natürlich Klaus Störtebeker, der berühmte Seeräuber: Er soll sieben Liter in einem Zug getrunken haben! Außerdem Arnold Schwarzenegger, der sich sehr stark für die Paralympics eingesetzt hat. Ich muss aber auch sagen, dass mich die Sprüche und Gegenrede vieler herausgefordert und gestärkt haben – letztendlich bin ich ihnen heute für deren Unsinn dankbar.

Wissen teilen und verzeihlich sein

Meine Botschaft für Menschen mit einer Seltenen Erkrankung ist, übt euch in radikaler Akzeptanz. Schließt euch mit Menschen zusammen, die das gleiche haben und feiert euch etwas. Sehr wichtig ist, dass man das eigene Wissen weitergibt, verzeihlich mit sich und der Umwelt ist und sich auch mit Themen über die Krankheit hinaus beschäftigt.

Während der genetische und medizinische Ursprung von Diabetes insipidus renalis gut beschrieben ist, gibt es für das Aufwachsen damit kein Handbuch. Um Missverständnissen entgegenzuwirken und über die Erkrankung aufzuklären, habe ich mich als Beispiel in den Medien gezeigt. Im Rahmen dieser Sensibilisierungskampagne habe ich weltweit Öffentlichkeitsarbeit für Diabetes insipidus renalis geleistet und Kontakt zu anderen aufgenommen, die so sind wie ich – mit einer Portion Humor, Willenskraft und einigem Ausprobieren ist vieles machbar.

#stayhydrated

Aus der Medienpräsenz ist letztendlich ein Netzwerk von Betroffenen aus aller Welt entstanden. Ich habe angefangen Familien, die zum ersten Mal mit dieser Diagnose konfrontiert sind, in Chats, Videokonferenzen und über Soziale Medien zu beraten. Es gibt keine spezifischen Angebote für Familien, was Eltern oft mit viel Unsicherheit zurücklässt. Über das Netzwerk kann sich ausgetauscht und neue Erkenntnisse gesammelt werden – und am wichtigsten: Kinder lernen andere Kinder kennen, die genauso sind, wie sie.

Inzwischen haben wir ein Medikament gefunden, das die Wasseraufnahme drastisch reduziert. Dadurch hat man weniger Durst, was bedeutet, dass ich viel länger schlafen kann, ohne auf die Toilette zu müssen. Ich bin nicht mehr so müde wie vorher und selbst Sport ist heute für mich einfacher.

 

Nephrogener Diabetes insipidus (Diabetes insipidus renalis) wird durch eine Fehlreaktion der Niere auf ADH verursacht. Der Körper ist nicht in der Lage Flüssigkeit zu speichern: Betroffene haben immer Durst. Erwachsene Männer trinken täglich bis zu 20 Liter Wasser, Frauen etwas weniger. Trinkt man nicht genug, kann das nach wenigen Stunden zu starker Dehydration und hohem Fieber führen.

Die Überhitzung des Körpers und die massive Urinabgabe führen zu logistischen Problemen, Toiletten und Wasserhähne sollten immer in der Nähe sein. Erschöpfungszustände sind für Menschen mit Diabetes insipidus renalis ebenso alltäglich. Statistisch gesehen haben nur 4 von 1 Mio. Menschen diese Erbkrankheit. Nephrogener Diabetes insipidus (Diabetes insipidus renalis) ist die vererbte Version von Diabetes insipidus und wird häufig mit Diabetes mellitus verwechselt.

Die Seite #stayhydrated von Marc mit weiteren Informationen finden Sie hier:

https://marc-wuebbenhorst.de/

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blaue, pinke, grüne und gelbe Umrisse von Beinen und Füßen, die in die Luft springen.