Seltene Kommunikation – eine echte Herausforderung

Arztbesuche sind eine besondere Herausforderung im Leben mit einer Seltenen Erkrankung – sowohl für den Arzt als auch die Betroffenen. Ärzte, speziell Kinderärzte, müssen eine überzeugende Zuversicht ausstrahlen, damit die überbesorgten Eltern beruhigt werden. Und meistens ist ja auch alles halb so wild.

Vorbereitet in die Arztgespräche zu gehen ist gerade bei Seltenen Erkrankungen eine wichtige Voraussetzung – das gilt genauso für die Ärzte, die sich unbedingt vorher in den „Fall" einlesen sollten, damit beide Seiten in ein konstruktives Gespräch starten können.

Es ist ja nur Fieber

Wir haben bei unserem Kinderarzt, den wir schon vom älteren Sohn kannten, für Verwirrung gesorgt, denn er

kannte uns nicht als Eltern, die ständig kamen, nur weil das Kind Fieber hatte. Unser Sohn fiebert immer wieder eine Woche lang, zwischen den Fieberphasen geht es ihm im Tagesverlauf aber auch wieder gut. Erst wenn die Fieberphase länger dauert, wird er schwächer – weitere Symptome hat er nicht. Wir hörten über Jahre immer wieder, dass er jeden Infekt mit Fieber ausmacht, bekamen Ibuprofen und das war alles. Schnell gingen wir nicht mehr zum Kinderarzt, wenn unser Sohn fieberte, und halfen uns selbst mit Ibuprofen, Wadenwickel und Pferdesalbe.

Als er acht Jahre alt war, hörte einmal ein Schub nicht mehr auf. Er lag die zweite Woche mit Fieber und trank nur wenig. Ohne Termin bin ich mit ihm zu unserem Kinderarzt gegangen. Dort hieß es, wir kämen nicht dran, er habe ja nur Fieber. Ich habe mich nicht abwimmeln lassen und als die Ärztin ihn sah und es nicht einmal schaffe, ihm Blut abzunehmen, ließ sie ihn in eine Klinik einweisen. Zwei Tage später lag der Junge auf der Onkologie mit Verdacht auf Leukämie.

Damit begann unser Leben mit einem kranken Kind.

Vorher war es halt ein Kind, das öfter fiebert. Jetzt aber wurde das Fieber massiv bekämpft. Mit Erfolg - es ging ihm schnell besser, eine Ursache für die Fieberphasen wurde jedoch nicht gefunden. Verschiedene Verdachtsdiagnosen haben sich (glücklicherweise) nicht bestätigt. Es schien verrückt, denn trotz hoher Entzündungswerte und allgemeiner Schwäche, war unser Kind gesund.

Schnell ging es ihm wieder so gut, dass er zwar zwei bis dreimal täglich fieberte, schwitzte und Schüttelfrost hatte, zwischen den Phasen aber auf dem Flur der Station mit dem Dreirad rumsauste und fröhlich spielte. Die Ärzte beobachteten ihn und auch uns skeptisch. Es wurde psychisches Fieber vermutet- schnell war aber klar, dass dafür die Temperatur zu hoch war. Es wurde in alle Richtungen gedacht, auch nach Giften gesucht – ohne Ergebnis.

Im Schnitt 7 Jahre bis zu seltenen Diagnosen

Irgendwann wurde das Kind halbwegs stabil entlassen. Wir bekamen noch gesagt, dass man nach seltenen Diagnosen durchschnittlich 7 Jahre sucht – und das war erneut alles. Wir standen im Regen.

Unsere nächste Station war der Rheumatologe, der uns empfing, sofort eine Diagnose hatte und eine unglaubliche Zuversicht verströmte. Leider waren wir davon genervt, denn wir wussten bereits, dass er keine Rheuma-Faktoren hatte. Der Arzt zog jedoch den Joker der Seltenen Erkrankungen: Scheinbar kann man jede bisher ausgeschlossene Erkrankung auch in einer seltenen Form haben. Die klassischen Merkmale sind dann zwar nicht unbedingt vorhanden, die seltene Form der Erkrankung hat man dennoch. Wir waren verwirrt. Es gibt also auch Rheuma ohne Rheuma-Faktoren.

Ein Augenblick der Hoffnung

Wir schöpften Zuversicht und schlossen uns dem Rheumatologen an. Umso heftiger war die darauffolgende Ernüchterung nach drei Konsultationen: Der Junge habe ein psychisches Problem.

Wir waren bereit, auch diesen Weg zu gehen. Unsere Familie hatte mittlerweile eine psychotherapeutische Begleitung, da der Umgang mit einer Seltenen Erkrankung für alle eine Herausforderung war. Unser Sohn wurde nach langer Wartezeit, mittlerweile war er elf Jahre alt, teilstationär in einer kinderpsychiatrischen Tagesklinik aufgenommen. Doch bereits nach der standardmäßigen Blutentnahme, bei der wie jedes Mal hohe Entzündungswerte gefunden wurden, kam er wieder stationär in die Kinderklinik mit Verdacht auf Hirnhautentzündung. Diese bestätigte sich nicht – weiterführende Ergebnisse gab es jedoch ebenfalls nicht.

Frustriert, verzweifelt, enttäuscht

Als kurz danach auch die zweite Blutentnahme bei der erneuten Aufnahme in der Tagesklinik auffällig war, wurde der Junge entlassen mit der dringenden Empfehlung, ihn einem Rheumatologen vorzustellen. Frustriert rief ich den Rheumatologen wieder an, der noch am selben Tag ausrichten ließ, er habe uns doch bereits die Kinderpsychiatrie empfohlen – ein Termin bei ihm würde keinen Sinn machen. Wir waren durch - frustriert, verzweifelt, enttäuscht. Wir gingen nicht mehr zum Arzt, zu gar keinem!

Wenn es schwierig wurde, dann machten wir Witze, dass ja alles „psychisch" sei, gingen weiter zu unserer Psychotherapeutin und hofften, dass sich die Sache verwächst.

Ich stehe hier immer wie ein Lügner

Als wir umzogen, kam auch ein neuer Kinderarzt ins Spiel. Ein ruhiger, besonnener Mann, der zwar auch erst einmal die üblichen Verdachtsdiagnosen anbrachte, dies aber ohne uns zu stressen im Hintergrund anging. Mein Sohn hatte mittlerweile einige Vorbehalte gegen Ärzte, insbesondere gegen seine Hämatologin und die Onkologin. An guten Tagen ist mein Sohn leistungsstark, auch körperlich. In den ganzen Jahren hat er mit Erfolg an bundesweiten Wettkämpfen im Rettungsschwimmen teilgenommen, dazwischen lag er aber immer wieder wochenlang mit Fieber flach. Sein Fieber ist hauptsächlich nachts und morgens – bis man beim Kinderarzt ist, geht es ihm häufig schon wieder besser. Bei einem der unzähligen Termine sagte er: „Ich steh hier immer wie ein Lügner." Unser Kinderarzt schaute ihn ernst an und antwortete: „Und ich stehe hier immer wie ein Versager." Ab diesem Moment war ein Vertrauen zu diesem Kinderarzt da, das bis heute anhält.

Aufbauende Arztgespräche

Fieber gehen mit Schmerzen einher und mein Sohn entwickelte mit 14 ein Schmerzsyndrom. Er wurde nach Datteln ins Deutsche Kinderschmerzzentrum eingewiesen und hat es geschafft, das Schmerzsyndrom in den Griff zu bekommen. Parallel wurden wir nach Hannover geschickt. Dort wurde der übliche Komplettcheck durchgeführt mit anschließendem Gespräch.
Der Arzt startete das Gespräch mit der Frage an den Jungen, was er denn denke, was jetzt rausgekommen sei. Dieser antwortete: „Das ist alles psychisch." Der zuständige Arzt schaute ihn ernst an, erwähnte seine Kompetenzen, und sagte ihm ganz ernst, es sei völlig klar, dass er eine körperliche Erkrankung habe. Auch, wenn noch nicht klar ist, um welche Erkrankung es sich handele - seine Entzündungswerte und seine Thrombozytenzahl seien konkrete Symptome. Das war eine unglaublich befreiende Erfahrung. Die ganze Ungewissheit war viel leichter zu ertragen – vor allem für das Kind.

Auf Ärzte schimpfen bringt nichts

Bisher haben sich alle Ärzte Mühe gegeben, unserem Kind zu helfen. Auch der Rheumatologe, der für Rheumakinder ein hervorragender Arzt ist, hat bei uns nur nicht verstanden, dass unser Sohn zwei Extreme lebt – dafür sieht er solche Phänomene vermutlich zu selten. Ich war bei ihm mit einem Kind, das kaum laufen konnte und hoch gefiebert hat. Keine Woche später wurde er Hessenmeister im Rettungsschwimmen.

Im letzten Gespräch mit unserer langjährigen Hämatologin ging es auch darum, wie schwierig eine Einschätzung für sie sei, wenn sie den Jungen immer nur in einigermaßen gutem Zustand sehe. Ich erzählte ihr, wie frustrierend es für uns als Patienten ist, erst Wochen später einen Termin zu bekommen. Auch auf Station kommt sie nur kurz zur Visite vorbei – dabei haben die Stationsärzte meinen Sohn alle schon beim Fiebern und mit Schüttelfrost gesehen, aber eben auch, wie schnell er sich danach erholt. Das hilft der Zusammenarbeit enorm.

In der Corona-Zeit haben wir festgestellt, dass wir schon seit Jahren in einem Corona-Zustand leben. Niemand weiß, wie sich die Krankheit entwickelt, wir wissen nie, was der Tag bringt, können nicht planen und können auch niemanden verantwortlich machen. Auf die Ärzte schimpfen, die keine Lösung kennen, ist unsinnig, denn das Kind ist organisch gesund. Wir haben dann versuchsweise mal auf Frau Merkel und Herrn Spahn geschimpft, die sollen sich endlich mal was einfallen lassen, gegen das Fieber - dabei wird einem dann die Lächerlichkeit bewusst. Es gibt einfach Situationen, da gibt es kein Richtig oder Falsch.

Kosten, Zeit und unvorbereitete Ärzte

Momentan sind wir wieder auf der Suche - im Deutschen Kinderrheumazentrum in Garmisch. Wir werden sicherlich wieder jede Menge Fragen beantworten müssen – ich wünschte mir, dass es mehr Materialien zur Vorbereitung solcher Gespräche gäbe. Es ist unglaublich unbefriedigend, wenn man schon während des Aufnahmegesprächs feststellen muss, dass der Arzt weder die Berichte des letzten Monats noch die Empfehlungen der Kliniken kennt. Wir nehmen uns viel Zeit, warten geduldig und haben oft Kosten für Fahrt, Parken, Verdienstausfall und Hotel – ich erwarte vom Arzt, dass er sich zumindest Zeit für uns nimmt, vorbereitet ist und die Berichte kennt.

Vor unserem Besuch in Datteln im Kinderschmerzzentrum mussten wir einen langen Fragebogen beantworten. Auf der Suche nach Seltenen Erkrankungen wären solche Fragebögen ebenfalls hilfreich – es gibt viele Bereiche, die in einem Standardgespräch nicht abgefragt werden. Dabei könnte es hilfreich sein, Betroffene ihre Beschwerden, Erfahrungen und Beobachtungen vorab beschreiben zu lassen. Unser Sohn ist z. B. extrem sonnenempfindlich, ohne dass er zu Allergien oder Sonnenbrand neigt. Wir haben das als Spleen abgetan, es könnte aber ein Hinweis auf eine inflammatorische Erkrankung sein.

Unser Weg durch Arztgespräche
Notizzettel

Wir gehen in die Arztgespräche mittlerweile mit Notizzetteln, auf denen wir vorher die wichtigsten Eckdaten und Symptome, sowie unsere Anliegen und Fragen notieren. Diesen Zettel haben wir bewusst sichtbar in der Hand. Auch ungewöhnliche Symptome, wie Heißhungerattacken o. ä. notieren wir, da diese Erwähnungen vielleicht hilfreich bei der Diagnosefindung sein könnten.

Entspannt bleiben – notfalls abbrechen

Wenn ich im Laufe eines Gesprächs den Eindruck habe, dass uns eine bereits ausgeschlossene Diagnose eingeredet werden soll oder wieder auf ein psychisches Krankheitsbild verwiesen wird, versuche ich entspannt zu bleiben und ruhig dagegen zu argumentieren. Sollten wir nicht ernst genommen werden, brechen wir die Gespräche ab – wir können uns weder Ärger noch Stress leisten, da dies nur die Beschwerden triggert.

Vertrauensperson an der Seite haben

Seit Corona sind Gespräche nur noch mit einem Elternteil möglich. Da bin ich froh, dass mein Sohn gerade fit ist und mitbekommt, was besprochen wird. Ein anschließender Austausch über ein Gespräch ist oft sinnvoll – gerade auch über Stimmungen, die von jedem unterschiedlich wahrgenommen werden.
Wenn unser Sohn einen schlechten Tag hat und sich nicht konzentrieren kann, ist es wichtig für uns, eine Vertrauensperson mitzunehmen. Diese agiert zwar nicht, hört aber zu und tauscht sich anschließend mit mir über die gewonnenen Eindrücke aus. Ich selbst stehe in so einer Situation sehr unter Stress – das trübt meine Wahrnehmung und Erinnerungen sind immer subjektiv.

Entspannt ins Gespräch starten

In das Gespräch gehen wir möglichst entspannt. Wir hetzen nicht vom Stau in die Klinik, sondern versuchen unbedingt pünktlich zu sein. Wir haben auch weder Hunger noch Durst, oder müssen dringend auf Toilette, um beste Bedingungen zu haben.

Darauf bestehen gehört zu werden

Aufrecht und selbstbewusst in der Haltung, versuchen wir gelassen und ruhig unser Anliegen vorzubringen. Wir zwingen Ärzte zum Zuhören, denn es ist uns schon passiert, dass ein Arzt reingerauscht kam, uns eine Diagnose hingeworfen hat und verschwunden war, bevor wir nachfragen konnten, was das jetzt weiter bedeutet.

Subjektive Wahrnehmung schildern

Da die Ärzte bei unserem Sohn oft das Fieber als Hauptproblem sehen, ist es wichtig die eigene Sicht zu beschreiben. Das Fieber selbst z. B. ist für ihn kein großes Problem. Die Schmerzen, die Müdigkeit und vor allem das Zittern, das vor dem Fieber kommt und der Schüttelfrost danach sind viel belastender, als die Höhe der Temperatur. Ob 39 oder 40 Grad spielt für uns eine sehr untergeordnete Rolle.

Die Angst davor - die Erschöpfung danach

Nach jedem Arztgespräch sind wir erschöpft. Anfangs hat mich das überrascht – aber natürlich ist man vor dem Gespräch angespannt, mit den Vorbereitungen beschäftigt, aber auch mit der Angst, etwas zu vergessen oder am Ende eine schlimme Diagnose zu erhalten. Diese Angst zieht sich durch das komplette Gespräch. Bisher dauert die Suche zwar lange, aber es besteht auch immer noch die Hoffnung, dass sich das Fieber „auswächst" oder einfach nach der Pubertät verschwindet. Dieses Gepäck trägt man immer mit sich. Umso wichtiger ist es, sich gut auf die Gespräche vorzubereiten, damit man hinterher auch mit den Ergebnissen besser umgehen kann.

Eine Freundin hat mir vor vielen Jahren gesagt, sie hätte das Gefühl, jedes Mal nach einem Arzttermin mit ihrem Rheumakind von den Ärzten ein „Brett" mitzubekommen. Leider weiß ich genau, was sie damit meint - das lähmende Gefühl, die Enttäuschung, die Erleichterung, der Frust,...
All das trägt man auch nach den Terminen als „Brett" noch einige Tage mit sich herum.

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blaue, pinke, grüne und gelbe Umrisse von Beinen und Füßen, die in die Luft springen.